Erschwerte Bedingungen

Wegen der steigenden Infektionszahlen gelten seit Mittwoch, 16. Dezember, verschärfte Corona-Regeln. Kinder- und Jugendheime sind davon in besonderem Maße betroffen, finden allerdings in der öffentlichen Kommunikation kaum Beachtung. Die Lebenssituation der jungen Menschen spielt während der Corona-Pandemie keine wesentliche Rolle. Geschäftsführerin Birgit Labes erläutert, was die Einschränkungen für das Luisenstift bedeuten.
 

Frau Labes, welche Folgen hat der harte Lockdown für die Kinder und Jugendlichen?

Zunächst heißt es für die Kinder und Jugendlichen, wieder wie im Frühjahr massive Einschränkungen ihrer Kontakte hinzunehmen. Sie können nicht zur Schule, sich nicht mit Freund*innen treffen und auch keine Freund*innen ins Luisenstift einladen. Um unsere Einrichtung zu schützen, mussten wir leider ein Besuchsverbot aussprechen. Nur so können wir die Kontaktbeschränkungen umsetzen.
Insofern sind ihre Außenkontakte ganz klar begrenzt und das ist natürlich sehr schlimm und anstrengend in ihrem Alter. Aber gleichzeitig haben sie einen Riesenvorteil gegenüber Kindern in regulären Kleinfamilien: Sie leben im Luisenstift unter Gleichaltrigen und mit vielen anderen in den Wohngruppen zusammen. Deshalb sind sie nicht komplett sozialisoliert, aber es ist sehr viel schwieriger für sie, ihre Außenkontakte zu pflegen.  

Wie haben Sie und Ihre Mitarbeiter*innen sich auf die neue Situation eingestellt?

Unsere Mitarbeiter*innen haben natürlich, ähnlich wie im Frühjahr, einen deutlichen Mehraufwand durch den Lockdown. Erstens müssen sie die Kinder und Jugendlichen beim Homeschooling unterstützen und das erfordert deutlich mehr und zusätzliche Arbeit in den Vormittagsstunden. Zweitens können die Jugendlichen nicht mehr zu Sportvereinen, Therapien oder ins Freizeitheim und sind rund um die Uhr vor Ort. Folglich müssen sich die Erzieher*innen einiges an Programm überlegen wie etwa Tischtennisturniere, Lagerfeuer oder Spieleangebote. Da ist viel Fantasie gefragt.
Neu ist, dass jetzt im Winter unser Außengelände nur begrenzt genutzt werden kann, weil es früher dunkel wird. Zusätzlich erschwerend sind die Weihnachtsfeiertage. Äußerst schade ist vor allem, dass die große und gemeinsame Weihnachtsfeier im Luisenstift ausfällt. Üblicherweise findet sie jedes Jahr statt und stellt für alle Kinder und Jugendlichen ein äußerst wichtiges und verbindendes, familiäres Treffen dar. Kleiner Trost: Innerhalb der Wohngruppen wird auf jeden Fall gefeiert.
Schwierig sind für uns jetzt auch die Entscheidungen, welche Kinder und Jugendlichen wir wann und wie lange an Weihnachten zu ihren Eltern oder Herkunftsfamilien beurlauben. Da müssen wir individuell sehr genau abwägen, um die Gefährdung so niedrig wie möglich zu halten. Schließlich kann jedes Kind möglicherweise Corona mit ins Luisenstift bringen, wenn es von den Eltern zurückkommt. Deshalb überlegen und organisieren wir für jedes Kind und jeden Jugendlichen individuelle Lösungen zusammen mit den Vormündern, dem Jugendamt und den Eltern.

Was sind Ihre Erfahrungen aus dem Frühjahrs-Lockdown?

Total toll war, wie diszipliniert sich die Kinder und Jugendlichen an die Regeln zur Kontakt- und Ausgangssperre gehalten haben.
Extrem schwierig war, dass wir einen massiv erhöhten Personalaufwand hatten, um die zusätzliche Betreuung und das Homeschooling sicher zu stellen. In der Zeit von Mitte März bis Mitte Juni sind dafür im Luisenstift über 500 zusätzliche Betreuungsstunden angefallen! Und diese Mehrarbeit ist von den dafür zuständigen öffentlichen Stellen nicht bezahlt worden. Genauso wenig wie die erhöhten Sachkosten bezahlt wurden. Es wird einfach vorausgesetzt, dass diese gesellschaftlich notwendige Arbeit ehrenamtlich geleistet wird. Auch die Masken, Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel und die technische Infrastruktur wie zusätzliche Laptops, WLAN, Server mussten wir aus Eigenmitteln finanzieren. Alle unsere Förderanträge wurden bisher abgelehnt.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich umso mehr, wie engagiert und flexibel alle Kolleg*innen ihre Arbeit gemacht haben. Ihnen gebührt ein riesengroßes Dankeschön!

Wo sehen Sie Unterschiede zum Frühjahr?

Bei aller Bedrohung können wir jetzt gelassener mit der Situation umgehen, weil wir nicht überrascht wurden und Zeit hatten, uns darauf einzustellen. Die Versorgungslage ist besser, wir haben genug Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung – im Frühjahr hat es sehr viel Energie gekostet, beides zu beschaffen.

Nicht, dass wir uns keine Sorgen mehr machen, aber wir sind schlauer und können gefährliche Situationen schneller einschätzen. Insofern sind wir recht beruhigt, auch eine nächste Stufe im Infektionsgeschehen händeln zu können. Aber geübter macht es noch lange nicht einfacher.  

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? 

Obwohl die öffentlichen Stellen von dem erneuten Lockdown nicht überrascht sein können, machen sie trotzdem einen unvorbereiteten Eindruck. Es ist schwer, mit den Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und Teilen der bezirklichen Jugendämter in Kontakt zu treten – sie sind im Homeoffice und ihre technische Ausrüstung ist dafür nicht ausreichend. Ich wünsche mir, dass alle wichtigen Gremiensitzungen auf digital umgestellt werden und nicht einfach ausfallen. Die Mitarbeiter*innen in der Verwaltung müssen für uns ansprechbar sein und entsprechend ausgestattet werden.

Vor allem aber wünsche ich mir,

  • dass die Mitarbeiter*innen in der Kinder- und Jugendhilfe und ihre Belange gesehen werden. Sie leisten wichtige, systemrelevante Erziehungsarbeit;
  • dass unser Arbeitsfeld „Hilfen zur Erziehung“ bei allen Entscheidungen, die Familien betreffen, berücksichtigt wird. Denn Kinderheime sind in der gleichen Situation wie Elternhäuser, der einzige Unterschied ist, dass es nicht 2-Kind-Familien sind, sondern Haushalte mit 20 Kindern;
  • dass zur Kenntnis genommen wird, dass unsere pädagogischen Fachkräfte in ihrem Privatleben auch noch zusätzlich Eltern sind und quasi mit doppelten Anforderungen konfrontiert werden;
  • dass die für uns zuständige Senatorin auch diejenigen Arbeitsfelder mitdenkt und berücksichtigt, die eben nicht Kita oder Schule sind.

Die Kinder- und Jugendhilfeträger haben ein dreiviertel Jahr lang gezeigt, wie belastbar sie sind und wieviel sie dazu beitragen, das System am Laufen zu halten. Klar ist: Wenn wir streiken, stehen 8000 Kinder und Jugendliche ohne Zuhause da. Das ist allen Mitarbeiter*innen sehr präsent und deshalb haben sie ihre eigenen Bedürfnisse hintenan gestellt.
Gerade deshalb: Pädagogische Betreuung unter erschwerten Corona-Bedingungen ist kein Ehrenamt. Die Mehrarbeit erfordert eine angemessene Bezahlung.

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